Vier Jahre Vorpommern: Ein Rückblick

Vier Jahre Vorpommern: Ein Rückblick

Vier Jahre Vorpommern: Ein Rückblick

# Bericht

Vier Jahre Vorpommern: Ein Rückblick

Spontaner Applaus nach seinem letzten Gottesdienst in Stralsund: Über 100 Gläubige verabschiedeten am 11. August Kaplan Maximilian Hofmann im Sonntagsgottesdienst. Die einhellige Meinung in der Kirche Heilige Dreifaltigkeit: „Ein begnadeter Prediger und ein Priester, bei dem man die Begeisterung für den Beruf spürt.“

Da fällt mir gleich die erste Frage ein. Was sollte in der Seelsorge wichtig sein, um Herzen und Vertrauen zu gewinnen?

Ich möchte das am Beispiel Jugendarbeit erklären. Ich hatte große Angst davor. Die Kaplanswohnung war der Jugendraum, wegen mir musste die Jugend in den Keller umziehen. Vor allem aber hatte ich als Jugendlicher schlechte Erfahrungen mit katholischer Jugendarbeit gemacht, besonders im Umfeld des BDKJ: Mobbing, grenzverletzendes Verhalten, (legale) Drogen usw. Mit einer solchen Organisation wollte ich nichts zu tun haben. Ich war deshalb nie Jugendleiter und hatte auch keine Juleica.

Nun, dachte ich, was mache ich? Mir fiel ein früherer Lehrer ein, der mich sehr geprägt hat. Er leitete das Schülerkabarett, in dem ich die Technik übernahm. Seine Stärke war weniger das Unterrichten und Anleiten. Vielmehr eröffnete er Möglichkeitsräume durch ein wohlwollendes Klima, eine verlässliche Organisation und verteidigte uns bei Kritik von Außen. Um den Rest kümmerten wir Schüler uns selbst, inklusive selbst geschriebenen Sketches.

Diese prägende Erfahrung war die Grundlage für meine Jugendarbeit. Bei den wöchentlichen Jugendabenden war ich drei Jahre lang – vom Urlaub abgesehen – immer da. Ich lud ein, kaufte ein, kochte, wusch ab, jede Woche. Inklusive „Endreinigung“ am nächsten Tag, was die Jugendlichen gar nicht mitbekommen haben. Nicht selten fuhr ich nach den Jugendabenden viele Kilometer durch die Pfarrei, um Jugendliche nach Hause zu fahren. Dazu organisierte ich alle 4-6 Wochen Exkursionen.

Worum ich mich mangels eigener Fähigkeiten nicht kümmerte, war die „Bespaßung“. Ich leitete selten Spiele oder andere Aktivitäten an. Bald merkte ich: Das war gar nicht nötig. Die Jugendlichen organisierten sich selbst. Der Rahmen, den ich ihnen bot, war genug.

Ich denke, das lässt sich zumindest für mich auch auf die ganze Pfarrei übersetzen. Ich kann nicht für alle und alles da sein. Ich kann aber eine verlässliche Grundstruktur bereitstellen: Die regelmäßige Feier der Sakramente, die Hinführung dazu, das Angebot von Gebetszeiten, telefonisch und per E-Mail eine verlässliche Erreichbarkeit.

Alles weitere, was in der Pfarrei wichtig ist, kann sich aus dieser Grundlage ergeben.


Was haben Sie von den Gläubigen in Vorpommern als Bayer gelernt?

Die Entschiedenheit zum Glauben. In Bayern ist es – noch – vielerorts so, dass das Katholisch-sein zum Selbstverständnis gehört. Man lebt den Glauben aber oft nur kulturell, ohne groß hinterfragt zu werden. Wenn man hingegen der einzige katholische Jugendliche im ganzen Jahrgang ist, von Lehrern und Mitschülern auf den Arm genommen wird, wenn man in der DDR auf Abitur, Studium und Karriere in Betrieben verzichtet hat, hat das eine völlig andere, eine beeindruckende Qualität.

Beeindruckend war auch die ökumenische Verbundenheit. Die Aufnahme in den lutherischen Gemeinden und den Gemeinden der Allianz war überaus herzlich. Unsere „Pastoren-Band“ bei einem ökumenischen Gottesdienst am Stralsunder Hafen 2023 zeigte, welche persönliche Sympathien es über alle Unterschiede hinaus es unter uns gab. Es sind echte Freundschaften entstanden.

 

Gibt es ganz besondere Erlebnisse?

Natürlich die Fahrten mit den Jugendlichen. Besonders prägend wird auch ein Notfall im Tiefseehafen Mukran bleiben. Ich wurde wegen eines Unfalls auf einen Frachter gerufen und unterhielt mich lange mit der Besatzung. Es war einer jener gnadenvollen Momenten, bei denen ich merkte: Es ist so gut, dass ich Priester geworden bin. Nicht weil ich so toll wäre. Sondern schlicht deshalb, weil ich sonst nicht da gewesen wäre.

 

Unsere Pfarrei St. Bernhard ist groß, in den Medien wird sie als flächenmäßig größte in ganz Deutschland beschrieben. Vier Jahre war Kaplan Hofmann mit unterschiedlichen Aufgaben betraut.

Lieber Kaplan Hofmann, könnten Sie uns einen Abriss über Ihr Tun und Wirken bei uns geben?

Ich denke, man kann die vier Jahre in drei Teile unterteilen:

Zuerst war das Tun stark limitiert durch die Corona-Lockdowns oder die Angst darum, dazu die vielen Regeln. Immerhin war Zeit, um bei ein paar Digitalisierungsprojekten zu helfen: Die Einführung von Churchdesk zur Gemeindeverwaltung, die Gestaltung der Pfarrei-Homepage und das Angebot des wöchentlichen Newsletters. Nie ist ein Jugendabend ausgefallen, weil wir ihn ins Digitale verlegen konnten. Dazu natürlich die „normalen“ priesterliche Dienste vor allem in Stralsund und Barth: Gottesdienste, Hausbesuche, Taufen, Beerdigungen usw.

Spätestens 2022 begann die zweite Phase. Die vielen Fahrten mit den Jugendlichen, nach Rom & Venedig, Marinha Grande & Lissabon, Hamburg usw. konnten beginnen. Durch die Versetzung Pfarrer Mazurs aus Demmin nach Prenzlau veränderte sich mein Alltag. Seine priesterlichen Dienste teilten Pfarrer Schaan und ich uns auf. Eine große Freude war die Vorbereitung zur Erstkommunion 2023 mit zwölf statt der erwarteten sechs Kindern auf der Insel Rügen. Auf Bistumsebene engagierte ich mich mangels Diözesanjugendseelsorger für die Bistums-Jugendfahrten nach Italien und zum Weltjugendtag in Portugal, weshalb ich teils wöchentlich einmal in Berlin war.

Als ich im Juli und im Dezember 2023 jeweils kurzfristig erfuhr, dass es mit der angekündigten Versetzung zum September 2023 bzw. Januar 2024 nichts werden würde, entschied Pfarrer Schaan, dass ich ab Januar 2024 die pastorale Verantwortung für die Demminer Gemeinde alleine übernehme. Die Erfahrungen der acht Monate in Demmin als „kleiner Pfarrer“ waren für mich sehr wertvoll.

 

Wo waren sie mit Freude und Eifer dabei?

Freude und Eifer hatte ich immer dann, wenn es etwas zu tun gab, wenn ich etwas schaffen konnte, biblisch gesprochen fruchtbar sein durfte. Das war sinnstiftend.

 

Was ist ihnen schwer gefallen?

Am schwierigsten in diesen Jahren war gewiss der Abstand zu meiner Familie, meiner Freunde und meiner Neokatechumenalen Gemeinschaft. Diese drei für mich wesentlichen Aspekte meines Lebens und Glaubens waren schlicht schwer erreichbar, Vorpommern ist weit weg.

Stichwort Neokatechumenaler Weg: Immer wieder habe ich direkt oder über Dritte erfahren, dass hinter meinem Rücken und dem des Pfarrers gelästert wurde. Ich möchte betonen: Ohne diese Gemeinschaft wäre ich heute wohl weder Priester noch in der Kirche. Und falls doch – so hat etwa mein Schüleraustausch in den USA meinen Glauben ebenso geprägt –, wäre ich nicht im Erzbistum Berlin. Dort bin ich nur dank des Priesterseminars Redemptoris Mater. Insofern war das unreflektierte In-Schubladen-Stecken für mich immer verletzend. 2021 gab es übrigens die Möglichkeit einer Versetzung nach Berlin. Der Erzbischof wollte mich mit einer Aufgabe im Ordinariat beauftragen. Einer meiner Ablehnungsgründe war, dass ich nicht „fliehen“ wollte vor den Problemen.

 

Worauf sollten wir als Pfarrei in Zukunft ein besonderes Augenmerk legen?

Ein paar Ideen, die ich zur Überlegung stellen würde, wären:

  • Weniger „man müsste mal“, weniger „viele sagen, dass“, mehr „ich bin bereit, zu“. Machen statt Meckern. Projekte, die „Sponsoren“ haben, laufen. Laufen sie trotz Sponsoren nicht, ist es wohl so, dass es diese Projekte nicht braucht.
  • Es gibt Basis-Aufgaben einer jeden Pfarrei: Die tägliche Heilige Messe, Gebetszeiten, mindestens wöchentlich ein Beichtangebot – es kommen übrigens mehr als angenommen –, usw. Manchmal hört man Forderungen, diese Basis-Aufgaben mit „neuen Formaten“ zu ersetzen. Davon halte ich gar nichts. „Neue Formate“ (mit „Sponsoren“!) als zusätzliches Angebot sind meist gut. Aber sie dürfen nicht als „bessere“ Alternative verstanden sein.
  • Die neue Homepage, der Newsletter und auch die Weihnachtsbriefe funktionieren wunderbar. Die „Neuigkeiten“ auf der Homepage und im Newsletter werden gelesen. Allein, es gäbe noch viel mehr berichtenswertes. Haben Sie Mut zum Schreiben! Mit ChatGPT und ähnlichen Produkten ist einfacher denn je, auf Basis von Stichworten gut lesbare Texte zu verfassen.

 

Noch ein paar Fragen zur Katholischen Kirche. Welche kirchenpolitische Weichenstellung der letzten Zeit war für sie überzeugend? Welche bedauern sie? Was wünschen Sie sich für die Kirche in Deutschland und weltweit?

Uff, Kirchenpolitik. Politik halte ich im kirchlichen Raum für sehr gefährlich. Politik heißt doch: Ich schließe mich einer Gruppe an, die andere Menschen und Gruppen davon überzeugen will, dass sie Recht hat. So entstehen Parteien, Parteiungen, Spaltungen.

In der Kirche sind wir gerufen, eins zu sein in Christus. Der ist eine Person, keine Überzeugung. Er ist der Gekreuzigte, der nie aufgehört hat, die Menschen zu lieben: Selbst, als sie ihn gefoltert und ermordet haben. Während Jesu mit überwältigender basisdemokratischer Mehrheit gewollter Verurteilung wählten die Menschen Barrabas, einen politischen Freiheitskämpfer gegen die römischen Unterdrücker.

Ich halte es für sehr gefährlich, sich hinter einer bestimmten Agenda, Überzeugung, Fahne zu versammeln, mit Ideen und Personen Hoffnungen zu verknüpfen und sich über andere zu stellen. Das ist nicht meine Aufgabe. Gerade deshalb halte ich auch die aktuelle Politisierung unter vielen Bischöfen, Gremien und den Professoren für sehr gefährlich. Besonders wir Deutschen sollten doch aus der Geschichte gelernt haben.

Das bedeutet übrigens nicht, dass ich Politik an sich für schlecht halte oder propagieren wollte, dass wir uns als Katholiken ins Private zurückziehen. Ich war kurzzeitig für Politikwissenschaft immatrikuliert. Ich war mit einem politischen Stipendium ein Jahr in den USA. Politik interessiert mich sehr. Aber meine politische Überzeugung hat in meinem Dienst als Priester nichts verloren. Da geht es um Menschen, um Personen.

Vielmehr freue ich mich, wenn Politiker und politisch engagierte Menschen in der Kirche einen Raum finden, wo sie sich als Person und auch in ihrem Engagement gestärkt fühlen. Eine Aufgabe der Kirche ist es, den Blick zu weiten, den Himmel zu öffnen. Dafür steht übrigens der Zölibat: Er hinterfragt, dass es im Leben nur um das Glück auf Erden geht. Es geht auch darum, natürlich. Aber: Wir glauben nicht an eine Utopie auf Erden. Wir glauben, dass wir für das Himmelreich geschaffen sind, und dass uns der Weg in den Himmel durch Christi Tod und Auferstehung offen steht.

Diesen Glauben wieder zu entdecken, das wünsche ich der Kirche.


Zum Abschluss vielleicht noch eine Frage zum künftigen Wirkungsort: St. Matthias in Berlin-Schöneberg. Seelsorge mitten in der Innenstadt Berlins. Wissen Sie bereits, was ihr Aufgabenfeld sein wird?

In der Kaplanszeit als Vorbereitung auf eine mögliche Aufgabe als Pfarrer soll es darum gehen, einen möglichst breiten Eindruck des Erzbistums zu bekommen. Nach zwei Jahren im brandenburgischen Havelland und vier Jahren in Vorpommern war es naheliegend, mich in eine Berliner Innenstadtpfarrei zu versetzen. Der Kontrast könnte kaum größer sein. Konkret weiß ich neben den „normalen“ Aufgaben, dass ich zwei Erstkommuniongruppen leiten und mich in der Ministrantenarbeit engagieren soll. Alles weitere wird sich in den nächsten Wochen zeigen.

 

Auch 2025 kommen wir bestimmt, wie es nun schon seit fast 25 Jahren Tradition ist, mit unseren Boni-Bussen nach St. Matthias zur Missa Chrismatis, zur „Ölmesse“. Ich freue mich auf die Begegnung. Im Gebet bleiben wir verbunden. Danke für das Interview.

Roland Steinfurth

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